Montag, 4. August 2014

Innen ist das neue Außen


Wir alle kennen diese Szenen aus dem Kino oder Fernsehen: Ein "Hacker" soll in ein System eindringen, um Daten zu beschaffen. Er scannt das System, findet in Sekundenschnelle eine Schwachstelle, probiert automatisch einige Passwörter und ist in wenigen Augenblicken am Ziel. Heutzutage dürfte so ein Szenario nicht einmal mehr im Film vorkommen, denn die Angriffstaktiken haben sich drastisch verändert und stellen den Verteidiger erneut vor einen Haufen Arbeit.

Aus filmischer Sicht würde sich das Publikum wahrscheinlich langweilen, wenn der Protagonist stundenlang an einem Exploit bastelt oder mehrere Tage Passwörter durchprobiert. Trotzdem sind die Grundzüge dieser Szenen richtig und hatten starken Einfluss darauf, wie wir Bedrohungen wahrnehmen und vor was wir uns schützen möchten: Der Angreifer kommt aus dem Internet und greift direkt von außen auf verwundbare Systeme zu. Das ist zweifellos ein valides Angriffsszenario und war früher die Regel.

Aufgrund der vielfachen Angriffe von außen wurden von den Verteidigern entsprechende Gegenmaßnahmen entworfen, z. B. neben einem guten Patch-Management und Viren-Scanner, eine Firewall zu installieren. Die Firewall hat durch das Abtrennen der Netze und durch das Einschränken der Verbindungen die Angriffsfläche im besten Fall auf das Nötigste verringert. Manche normalisieren sogar die Datenströme und analysieren bis tief in die einzelnen Protokolle, um auch unbekannte Angriffe abzuwehren. Jedoch werden Angriffe auf Passwörter durch Zwei-Faktor-Authentisierung aus unserer Sicht leider noch zu selten abgesichert.

Zielscheibe Mensch

Für einen Angreifer sind die direkten und altbewährten Pfade inzwischen sehr beschwerlich. Für einen vom Forschergeist getriebenen Hacker kann das Austricksen dieser Schutzmechanismen zwar eine sportliche Herausforderung mit Sex-Appeal sein. Aber von Individuen dieser Art geht immer seltener eine Bedrohung aus.

Durch die Professionalisierung der Internetkriminalität und Betriebsspionage rücken betriebswirtschaftliche Überlegungen immer mehr in den Vordergrund: Einfach und schnell muss es gehen! Der Weg ist nicht das Ziel, der Return On Investment (ROI) ist das Einzige was zählt.

Würde ein Hacker-Film aus den 80ern heute gedreht werden, sähe der Plot hoffentlich folgendermaßen aus: Der Angreifer startet einen kurzen Scan, wendet sich aber schnell ab – zu  kompliziert. Er besorgt sich über ein soziales Netzwerk eine Liste der Mitarbeiter und hält nach einem erfahrungsgemäß "leichten" Opfer Ausschau. Das sind meist kontaktfreudige, offene Menschen, mit wenig IT-Erfahrung und einem unbedarften Umgang mit IKT-Systemen. Die anschließende Suche nach der ausgewählten Person in einem vornehmlich privat genutzten sozialen Netzwerk fördert dann eine Vorliebe für niedliche Katzen oder tiefergelegte Autos zu Tage. Der Angreifer sammelt alle Informationen, mit deren Hilfe er vertrauenswürdige oder für den Empfänger zumindest begehrenswerte E-Mails konstruiert. Eine E-Mail mit augenscheinlich Hobby-relevantem Inhalt wird von der Zielperson angeklickt und der Angreifer hat Zugriff auf den Rechner des Opfers und somit meist auch auf die relevanten Daten im internen Netzwerk. Ziel erreicht.

Der indirekte Angriff

Ein weiteres Szenario erscheint auf den ersten Blick schwieriger, kommt aber in der Realität häufig vor: Es werden von Mitarbeitern der Zielfirma regelmäßig besuchte Webseiten ermittelt, die ein niedrigeres Schutzniveau aufweisen. Diese Webseiten werden mit einem Trojaner versehen und infizieren ausschließlich Besucher der Zielfirma, bis das gewünschte Ziel infiltriert ist. Diese Taktik ist als "Waterhole-Angriff" bekannt, denn das Wasserloch ist der beste Ort, um regelmäßig wiederkehrendem, durstigem Vieh aufzulauern. So unwahrscheinlich dieses Szenario klingen mag, der Firma Apple und einigen anderen ist genau das passiert.

Angriffe dieser Art sind zur heutigen Zeit Standard. Virenscanner helfen hierbei wenig, denn die die Trojaner sind meist selbst geschrieben, ohne den Hersteller von Anti-Viren-Software davon in Kenntnis zu setzen. Auch klassische Firewalls helfen nicht, denn die Opfer wurden nicht direkt von außen angegriffen, sondern sie haben die Schadsoftware selbst (unbewusst) auf ihren Arbeitsplatz geschleust.

Es gibt natürlich auch intelligente Firewall-Produkte, die JavaScript und Applets von vornherein herausfiltern. Doch diese Techniken werden selten aktiviert, denn sonst wäre ein Großteil der Webseiten nicht mehr benutzbar und ein hundertprozentiger Schutz kann selbst dadurch nicht gewährleistet werden.

Umdenken ist angesagt

Angenommen, eine intelligente Firewall ist im Unternehmen installiert und alle aktuellen Schutzmechanismen sind aktiviert. Weiß ein Angreifer davon, verschickt er USB-Sticks. Benutzen Sie USB-Blocking-Software, verschickt der Angreifer Teensy-Devices, die Eingabegeräte, wie Maus und Tastatur imitieren oder bittet die Reinigungskraft (oft auch gegen Bezahlung) ein Gerät einzustecken. Wir können die Angriffsliste fast endlos weiterführen. Es gibt immer einen Weg, auch wenn es recht aufwändig wird. Diese relativ hohe Hürde zu setzen, ist der aktuelle Verdienst der Sicherheitsindustrie.

Was aber tun, wenn es stets einen Weg in Ihr internes Netz gibt und sich nicht alle Einfallstore schließen lassen?

Die logische Konsequenz aus der Veränderung der Angriffstaktiken der Cyber-Kriminellen ist aus unserer Sicht, den eigenen Blickwinkel ebenfalls anzupassen. Die hohen Hürden haben Kriminelle zum Umdenken bewogen und das sollten Verteidiger ebenfalls tun. Das würde bedeuten, die internen Netze als genauso unsicher wie die externen zu betrachten. Nur wenn wir die Arbeitsplätze als kompromittiert betrachten und den Schutzbedarf interner Systeme mit dem externer Systeme gleichsetzen, können wir den aktuellen Angriffstaktiken etwas entgegensetzen. Ein infizierter Arbeitsplatz kehrt das Innere Ihres Netzwerks nach außen und ermöglicht dem Angreifer in gewohnter Manier zu handeln.

Nicht vergessen: Die Kommunikation nach außen

Neben einer strikten Trennung der internen Netzsegmente nach Schutzbedarf, Funktion und organisatorischen Einheiten muss die Kommunikation nach außen ebenfalls erschwert werden. Ohne diesen Kommunikationskanal wird es für den Angreifer schwierig, die eingeschleuste Schadsoftware aus der Ferne zu steuern. Und ganz platt gesagt: Gefühlsmäßig ist mir wichtiger, dass niemand etwas aus der Firma herausträgt, als herein.

Ich bin erleichtert, dass sich die Schutzmechanismen in dieser Richtung heutzutage rasch weiterentwickeln. Wenn die internen Hürden in Zukunft tatsächlich so groß sind wie die externen, bin ich sehr gespannt, wie sich die Angriffsszenarien der Zukunft verändern.

Eigentlich müssten wir noch über User-Awareness und die Webanwendungen als ewiges Sicherheitsrisiko sprechen, aber über diese Themen diskutieren wir ein Andermal.

Blog-Autor Rainer Giedat ist Geschäftsführer und Mitbegründer der NISDE ATTACK LOGIC GmbH. Er arbeitet seit über 14 Jahren in der IT-Security, davon mehrere Jahre als Software-Entwickler von Sicherheitssystemen, als Systemadministrator und IT-Sicherheitsverantwortlicher. Als Penetration-Tester führte er in Deutschland und der Schweiz zahlreiche Penetration-Tests und Sicherheitsberatungen bei namhaften Unternehmen durch.

Die NSIDE ATTACK LOGIC GmbH ist spezialisiert auf hochwertige technische Penetration-Tests und realitätsnahe Simulationen von IT-gestützter Betriebsspionage.

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